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Beschreibung von Paul Stierle
NdK

Burg und Markung Reußenstein
Burgromantik, nichts anderes will und kann der Reußenstein, dieses "Juwel der Schwäbischen Alb", geben. Zum Hineinträumen in "die Stätte einer tausendjährigen, versunkenen Vergangenheit" können auch die Tatsachen der Geschichte Anregung geben. Deshalb soll hiermit versucht werden, folgende Fragen zu beantworten: Wer hat die Burg Reußenstein erbaut? Woher kommt der Name Reußenstein? Wie kam der Bär in das Wappen des Adelsgeschlechtes "Reuß von Reußenstein" und der Herren "von Stein"? Welches waren die urkundlich bezeugten Besitzer der Burg?

Wer hat die Burg Reußenstein erbaut?
Das ist eine Frage, die oft gestellt wird. Als einzig wahre Antwort gilt heute noch das, was Gustav Schwab im Jahr 1838 geschrieben hat: "Urkunden erzählen wenig von dieser Riesenveste und man kennt ihren geschichtlichen Erbauer nicht".

 Die historische Fachliteratur hat dieses Nichtwissen immer wieder bestätigt, indem sie zu dieser Frage nur Vermutungen veröffentlichte, weil eben in den diesbezüglichen Originalurkunden, wie sie in staatlichen und anderen Archiven zugänglich sind, nichts über den Gründer und die ersten Besitzer der Burg Reußenstein zu erfahren ist. Solche Vermutungen sind interessant, wenn sie durch logische Auswertung von bezeugten Einzelheiten entstanden sind und sie können nützlich sein, indem sie Anregung geben zum eigenen Nachdenken oder wenn sie die Auswahl unter den dargebotenen Ansichten erleichtern.
Die ursprüngliche Burg Reußenstein war eine der etwa 60 mittelalterlichen Burgen im Kreis Nürtingen. Sie gehörte zu den Höhenburgen des niederen Adels, welche im 13. Jahrhundert entweder auf Anweisung der Oberherrschaft oder eigenmächtig errichtet wurden. Damals saß in Neidlingen das Ortsadelsgeschlecht der Herren "von Neidlingen", die in dem Ort 2 Burgen besaßen. In einer Urkunde vom Jahr 1258 wird einer dieser Herren, ein "Hainricus de Nidlingint", mit Namen genannt.
Von den Nachkommen dieses Ahnherrn geben eine Menge von Urkunden Zeugnis davon, dass es sich hier um ein bedeutendes Adelsgeschlecht handelte, welches bei der Kirche und bei weltlichen Machthabern hohe Dienststellen erwerben konnte und das nach dem Heimatbuch Nürtingen wahrscheinlich edelfreier, alter Herkunft war. Ihr Stammsitz Neidlingen gehörte von etwa 1250 bis 1334 zum hochadeligen Herrschaftsgebiet der Grafen von Aichelberg.
Es wäre durchaus möglich, dass diese Oberherrschaft dem Ortsadel in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (Gründungszeit der Niederadelsburgen) den Auftrag gegeben hat, die gräfliche Territoriums und Zollgrenze am Albrand des Neidlinger Tales durch Anlegen von Höhenburgen im System einer aichelbergischen Burgengruppe zu schützen. Für den Burgenbau Reußenstein - Heimenstein und Randeck - Lichteneck ist das Motiv der Wegsicherung nachweisbar, weil diese Burgen in nächster Nähe der zwei ältesten Albübergänge vom Neidlinger Tal und von Kirchheim her über den Hof Reußenstein und über den Hof Randeck liegen.
Wenn man diese Veranlassung zum Bau der genannten Zwillingsburgen nicht anerkennen will, so bleibt die Annahme, dass der Ortsadel von Neidlingen dieselben aus eigener Initiative erbaute. Ob diese Felsennester nun aus strategischer Absicht als "detachierte Forts" zu der Stammburg im Tal (Wasserburg südlich der Kirche) gedacht waren, ob sie ihre Existenz der damaligen Neigung des niederen Adels zur Vermehrung ihres Ansehens verdanken oder ob sie dem Zweck dienen sollten, einigen männlichen Abkömmlingen oder Schwiegersöhnen eine neue Stammburg und damit einen neuen Adelstitel zu verschaffen, das ist kaum zu entscheiden. Das letztere Motiv ist möglich, weil damals tatsächlich die vier Adelsgeschlechter "von Stein" (erste Urkunde l_311), "von Heimenstein" (1251), "von Randeck", (1292) und "von Lichteneck" (1292) aus der Taufe gehoben wurden. Von den neuen Herren "von Randeck" und "von Lichteneck" weiß man, dass sie wahre, natürliche, leibliche Blutsverwandte zu dem Ortsadel Neidlingen waren. Ob auch die ersten Burgherren auf dem Reußenstein zu der Sippschaft der reichen und angesehenen Neidlinger gehörten, dafür gibt es keine Urkundenbeweise; aber es ist wohl kaum anzunehmen, dass der Ortsadel einem fremden Ritter die Erlaubnis gegeben hätte, die wichtigste und stärkste Feste vor seiner Nase auf seinem eigenen Grund und Boden (was später zu beweisen sein wird) zu erbauen, es sei denn, er wäre mit ihm irgendwie verwandt gewesen.
Von größter Wichtigkeit für die Frage nach dem Erbauer der Burg Reußenstein wäre eine Urkunde vom Jahr 1340, die in der Beschreibung des Oberamts Kirchheim (1842) abgedruckt ist, von der das Originalpergament leider in den Staatsarchiven fehlt. Ihr Inhalt ist dort wie folgt angegeben: Johann von Stein, Ritter, verkauft l_340 meine Burg, den Stein genannt" (Reisenstein), und was ich uff der Alb da han und was uff der Alb dazu gehört, meinem lieben Vetter Conraden dem Rüzzen und Hainrich seinem Bruder, Herr Küzzen genannt, um 800 Pfund Heller. Wir möchten dieser Urkunde gerne eine auf der Vermutung der Echtheit beruhenden Beweiskraft zuerkennen, vor allem wegen der allgemein anerkannten Zuverlässigkeit des Verfassers dieser Oberamtsbeschreibung, die er bei der wörtlichen und zusammenfassenden Wiedergabe des Inhalts von Urkunden nachprüfbar beweist. Die ersten Ritter auf der Burg Reußenstein hätten sich also "von Stein" oder "vom Stain" geschrieben und man könnte sie dann auch als die Erbauer der Burg ansehen. Irgendein Mitglied der Familie Reuß von Kirchheim kommt dann nicht mehr als Gründer des angeblichen Stammschlosses in Frage. Nach der oben angegebenen Urkunde aber ist es möglich, dass ein Herr Conrad Rüzze (Reuß) von Kirchheim die Burg Reußenstein einem Ritter Johann von Stein abgekauft hat im Jahr 1340, um eine Stammburg zu haben, die seinen Titel Ritter, den er schon 1336 führte, glaubhafter machen sollte und um, wenn auch nicht für sich, so doch für seine Nachkommen den wohlklingenden Adelsnamen "Reuß von Reußenstein" zu erwerben. Wir könnten nach der Urkunde auch annehmen, dass der Vater des Ritters Johann von Stein eine Schwester gehabt hätte, die sich mit einem Herrn Rüzze (Reuß) von Kirchheim verheiratete und deren Sohn, der eben genannte Conrad der Rüzze, die Burg 1,340 gemeinsam mit seinem Bruder gekauft hätte. Seine Vetterschaft mit Johann von Stein wäre erklärt und es wäre verständlich, dass er als Sippenangehöriger des Ortsadels von Neidlingen die Burg Überhaupt erwerben konnte. Sein Bruder Heinrich war bei den Kauf anscheinend nur Geldgeber. Da seine Frau angeblich eine geborene Gräfin von Aichelberg war, so ist nicht anzunehmen, dass diese je einmal die Absicht hatte, auf dem entlegenen Felsennest Reußenstein zu wohnen. Nach all dem können wir glauben, dass Conrad der Rüzze durch sein erkauftes Stammschloss der Stammvater der Herren "Reuß von Reußenstein" wie sich seine Nachkommen im 15. und 16. Jahrhundert nannten, geworden ist.

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